Pressemitteilung

Günter Baumann

Mitglied des Deutschen Bundestages

 

Berlin, 01.06.2005

 

  

  

Bundestag > Petitionsausschuss

 

Übergabe des Jahresberichtes 2004 an den Bundestagspräsidenten:

 

Erneut Eingabenboom beim Petitionsausschuss

MdB Baumann: "Problemdichte in den Neuen Ländern am gewaltigsten."

 

 

Seit der vergangenen Bundestagswahl steigt die Zahl der Eingaben an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages kontinuierlich an. Im Jahr 2004 erreichten den Ausschuss 18.000 Bitten und Beschwerden. Das sind 30 Prozent mehr als im Jahr 2002, wie dem aktuellen Jahresbericht des Ausschusses zu entnehmen ist, der am Mittwoch Bundestagspräsident Thierse übergeben wurde. Der petitionspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Günter Baumann, betonte bei der Übergabe, dass insbesondere die Petitionen zu den sozialen Sicherungssystemen zunehmen und dass "gemessen an der Bevölkerungszahl die Problemdichte in den neuen Ländern am gewaltigsten" sei. Der Petitionsausschuss sei daher ein "politischer Seismograph, dessen Eingangsstatistik auch viel über die regionalen Besonderheiten im wiedervereinten Deutschland wiedergibt." Gut sei zudem, dass über den Ausschuss die "Berliner Bundesregierung permanent mit den Ergebnissen ihrer Gesundheits-, Renten- und Arbeitsmarktpolitik konfrontiert wird".

 

Baumann vertritt seit 5 Jahren die CDU/CSU im Petitionsausschuss, seit Oktober 2002 ist er dort ihr Sprecher und, da er einer der wenigen ostdeutschen Abgeordneten im Ausschuss ist, (von 25 Abgeordneten haben drei ihren Wahlkreis in den neuen Ländern) "landet nahezu jede ostdeutsche Petition auf meinem Schreibtisch".

 

Prominentestes Beispiel: die Petitionen zur "Intelligenzrente". Baumann, der selbst als Ingenieur von der Stichtagsregelung 30.6.1990 nachteilig betroffen ist, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im VEB tätig war, sondern als Bürgermeister von Jöhstadt am demokratischen Neuaufbau mitwirkte, geht es hier vor allem um Vermittlung: "Ich habe Verständnis für den Unmut all derjenigen, die trotz einer nahezu identischen Erwerbsbiographie nun eine niedrigere Rente als ihr Kollege erhalten, nur weil sie zwei Tage früher ausgeschieden sind oder weil ihr Berufstitel nicht in über 50 Jahre alten Versorgungsverordnungen der DDR steht. Auf diesem Gebiet kommt es zum Teil zu einer absurden Ungleichbehandlung". Allerdings fügt Baumann auch hinzu, dass dies Folge des DDR-Rechts sei: "In der DDR erhielten gerade einmal 3 bis 5 Prozent der Ingenieure eine Versorgungsurkunde der technischen Intelligenz. Die Möglichkeit einer Zusatzversorgung war also äußerst eingeschränkt. Erst die Rechtsprechung der Bundesrepublik hat der Versorgungsordnung der DDR eine generelle Geltung verschafft – mit der Folge, dass zwischen 1999 und 2005 von über 300.000 ehemaligen DDR-Ingenieuren ohne Urkunde immerhin 217.000 bei der BfA  eine "Intelligenzrente" erhalten haben. Das sind gut 66 Prozent! "

 

Was die Rentenfragen in den neuen Ländern betrifft, hat Baumann eine klare Priorität: "Als erstes müsste die Situation der Opfer des SED-Regimes verbessert werden. Traurigerweise sind nämlich ausgerechnet die Vorkämpfer für Demokratie und Freiheit in vielen Fällen die Verlierer der deutschen Einheit. Wer z.B. eine zwanzigjährige Verfolgungsbiographie mit Haft und Berufshindernissen jeglicher Art hinter sich hat, ist heute in der Regel als Rentner ein Sozialfall. Ganz im Gegensatz zu den unpolitischen Normal- und den staatstreuen Funktionärsbiographien".

Baumann hat daher am Mittwoch den Antrag gestellt, eine Mehrfachpetition von 150 Verfolgten an die Bundesregierung zu überweisen und eine Pauschallösung in Form einer Ehrenpension zu fordern. Die Grünen haben daraufhin "Beratungsbedarf" angemeldet. "Ein taktisches Spielchen", vermutet Baumann angesichts der sich anbahnenden Neuwahlen.

 

Um die Aufarbeitung der DDR-Geschichte geht es auch bei den offenen Vermögensfragen in den neuen Ländern, ein Themenfeld, für das Baumann im Ausschuss fast die alleinige Zuständigkeitskompetenz hat. "Das liegt aber auch daran, dass gerade westdeutschen Abgeordneten dieses Problemfeld eher fremd geblieben ist." Formal geht es bei den Vermögensfragen um die Wiedergutmachung von Enteignungen in der DDR durch Rückgabe oder Entschädigung. "In der praktischen Umsetzung hat man es dann aber mit staatlichen Treuhändern wie der BVVG oder der TLG zu tun, die naturgemäß ein Eigeninteresse entwickeln. Hier gilt es, das Anliegen der Bürger zu stärken, die sich alleine im Konflikt mit diesen halbstaatlichen Unternehmen überfordert fühlen." Aber auch bei der Gestaltung des Vermögensrechts treten Jahre später Mängel und unbeabsichtigte Nebenfolgen auf, die der Gesetzgeber Anfang der neunziger Jahre noch gar nicht vorhersehen konnte: "Stellen Sie sich folgende Geschichte vor: Im Sommer 1989 findet eine Familie in einem Zeitungsinserat endlich das schon lange von ihr gesuchte Haus. Man trifft sich mit dem Verkäufer, der angibt, die DDR in den Westen zu verlassen, und einigt sich mit ihm über einen Preis. Die Übernahme der Eigenheimkredite und die Unterschrift unter den Kaufvertrag erfolgen noch vor dem Sturz Honeckers. Im Sommer 1990 holt der ehemalige Eigentümer noch einige Dinge ab, die er in dem Haus gelassen hatte. Nichts deutet daraufhin, dass er seine Verkaufsentscheidung jetzt – nach der Wende – bereut und rückgängig machen will. Unser Käufer macht sich derweil an die Modernisierung des Hauses und investiert jahrelang – bis er 1998 davon erfährt, dass er gar nicht mehr Eigentümer des Hauses ist. Der ehemalige Eigentümer hatte nämlich 1991 einen Antrag auf Rückgabe gestellt. Dieser wurde vom Landesvermögensamt 1998 positiv beschieden, da die Unterschrift unter den Kaufvertrag zwar vor dem Sturz Honeckers, der notarielle Abschluss aber erst nach dem 18.10.89 zustande gekommen ist. Dadurch aber falle das Kaufgeschäft nicht mehr unter den redlichen Erwerb zu DDR-Zeiten. Meine Frage: konnten die Käufer von derartigen juristischen Feinheiten etwas wissen? Die Rechtsprechung unterstellt das offensichtlich: in einem ähnlichem Fall scheiterte ein Kläger vorm Bundesverwaltungsgericht."  Liegt aber erst einmal ein höchstrichterliches Urteil in einer Streitsache vor, dann wird es für den Petitionsausschuss "ganz, ganz schwer, wenn nicht sogar unmöglich, zu helfen." Ein für den Petenten negatives höchstrichterliches Urteil über ein Petitionsverfahren doch noch ein Stück weit zum positiven zu wenden – das sei ihm bislang "nur einmal in einer spannenden Streitsache mit der Treuhandanstalt" gelungen.

 

 

Mit großer Skepsis sieht Baumann die Einrichtung immer neuer Regierungsbeauftragter: "Wo kommen wir hin, wenn wir zu jeder Reform einen neuen Verwaltungsstab für einen Beauftragten einrichten? Nach der Gesundheitsreform gab es plötzlich eine Patientenbeauftragte, nach Hartz IV wurde ein begleitender Ombudsrat eingerichtet. Die Folge ist Bürgerverwirrung: an wen soll ich mich jetzt wenden? Viele denken, dass der jeweilige Beauftragte näher am  jeweiligen Politikfeld dran und kompetenter sei. Das Gegenteil ist aber der Fall. Kompetenz und Befugnisse des Petitionsausschusses gehen über die der Regierungsbeauftragten weit hinaus. Wir, der Petitionsausschuss, sind die Volksvertretung und verfügen über alle Kontrollmittel, die einem Parlament zustehen. Im übrigen: die Regierungsbeauftragten haben ohnehin meist nur eine Alibifunktion und sollen der Regierungspolitik die nötige bürgerfreundliche Außenerscheinung vermitteln. Auf die Entscheidung, ob ein bestimmtes Medikament in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird, hat aber die Patientenbeauftragte keinen größeren Einfluss als der Petitionsausschuss."

 

 

Ingesamt, so Baumanns Resümee, sei der Petitionsausschuss zwar immer noch das Gremium des Deutschen Bundestages, "in dem parteiübergreifend am meisten möglich ist. Leider gibt es aber einige haarsträubende Fälle, in denen SPD und Grüne nicht den Mut aufgebracht haben, auch einmal gegen die eigene Regierung Positionen zu vertreten, die vor Jahren noch rotgrüner Konsens waren. Ich habe in mehreren Gesprächen meine Kollegen von der Regierungskoalition davon zu überzeugen versucht, den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende an das Unterhaltsrecht anzupassen." Hintergrund: Die auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) angewiesenen Alleinerziehenden sind zur Zeit schlechter gestellt als Alleinerziehende, die von ihrem ehemaligen Partner Unterhalt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) beanspruchen können. Dagegen hatte sich per Petition eine Mutter aus Johanngeorgenstadt gewandt. Die Frau hatte beklagt, dass der Bundestag 2001 zwar das Unterhaltsrecht nach dem BGB reformiert und verbessert, das UVG dagegen auf dem alten niedrigeren Stand belassen hatte. Baumann teilt die Kritik an dieser Ungleichbehandlung: "Rotgrün hat die Reform des Unterhaltsrechts mit der Sicherung des Existenzminimums der Kinder begründet. Dieses Existenzminimum muss dann aber für alle gelten – auch für Kinder ohne unterhaltspflichtigen Vater. Die Familienpolitik von Rotgrün ist völlig widersprüchlich und ein Schlag ins Gesicht alleinerziehender Mütter."  

 

 

Zu den positiven Erfahrungen der Ausschussarbeit im Jahr 2004 zählt für Baumann dagegen, dass sich der Petitionsausschuss gegen die Regierung und gegen den lange anhaltenden Widerstand der Deutschen Post erfolgreich für ein Anliegen einsetzen konnte, das gerade von älteren Mitbürgern ohne Internetanschluss immer wieder vorgetragen wurde: nach über zehn Jahren wird endlich das längst vergriffene und nunmehr aktualisierte Postleitzahlenbuch wieder aufgelegt. "Menschen, die den alten Band verloren und keinen Computer haben, müssen nämlich zur Zeit noch eine der zum Teil recht teuren Servicenummern wählen, wenn sie zielgerichtet einen Brief adressieren wollen." Von diesem Erfolg im zähen Ringen des Ausschusses wird man sich schon bald überzeugen können.

 

Übergabe des Berichtes an Bundestagspräsident Thierse

 

 

"Problemdichte in den Neuen Ländern am gewaltigsten."

 

 

Anschließende Pressekonferenz