Wahlkreisabgeordneter Günter Baumann (CDU) berichtet für den Wochenspiegel
Wochenspiegel Interview zu „100 Tage neue Regierung“
es antwortet Günter Baumann, MdB
1. Die SPD wirft der neuen Regierung einen Fehlstart vor, die Linken sprechen
sogar vom ersten Tag an von Chaos und Streit. Das sind nur zwei negative
Meinungen. Wie schätzen Sie persönlich den gemeinsamen Start von CDU und FDP vor
100 Tagen ein?
Sicherlich war der Start der neuen Koalition nicht in allen Punkten optimal. Es
mussten sich drei Parteien- CDU, CSU und FDP- zusammenfinden, um eine gemeinsame
Strategie auszuarbeiten. Ein Regierungsprogramm für die nächsten 4 Jahre zu
erarbeiten ist eine immens wichtige und wegweisende Aufgabe, die nicht ohne
gesunde Diskussionen zu Stande kommen kann. Von Chaos und Streit kann indes
keine Rede sein. Die ersten wichtigen Aufgaben für Deutschland konnten in 100
Tagen realisiert werden.
2. Handelt es sich tatsächlich um 100 Tage ohne Kurs und Kompass?
Die Koalition hat einen klaren Kurs, der in den Koalitionsvereinbarungen
niedergeschrieben ist. Die wichtigsten Ziele für Deutschland sind: Wachstum,
Bildung, Zusammenhalt.
3. Was wurde bisher konkret von Seiten der FDP und CDU an Wahlversprechen
realisiert, was auf den Weg gebracht und was ist schief gelaufen?
Für uns stand im Mittelpunkt der ersten gesetzlichen Regelungen die
Entlastung von Familien, die Beseitigung von Konfliktpunkten im Steuer- und
Erbschaftsrecht und die Erleichterung der Unternehmensnachfolge im Mittelstand.
Ebenso musste der Bundeshaushalt hinsichtlich der gravierenden Veränderung der
Finanz- und Wirtschaftskrise aufgestellt werden. Darüber hinaus sind
Sonderprogramme für Milchbauern und die Erhöhung des Schonvermögens für Hartz
IV-Empfänger auf den Weg gebracht.
4. Was müsste nach Ihren Meinungen von den Parteien getan werden, um das
Vertrauen der Wähler wieder mehr zu gewinnen?
Entscheidend wird das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik durch
die Arbeit der Abgeordneten vor Ort gebildet. Politiker müssen für die
Bürgerinnen und Bürger bei all ihren Problemen ansprechbar sein und nach
Möglichkeit Lösungen aufzeigen können. Dies ist meine Auffassung von Bürgernähe.
Außerdem ist es wichtig, Informationen über die politische Arbeit des Deutschen
Bundestages in Berlin vor Ort zu geben.
Jetzt noch einige Fragen zu aktuellen Themen, die auch die Bürger des
Erzgebirges beschäftigen:
5. Im CDU-Wahlprogramm nahm die Bildung einen vorderen Platz ein. Seit
gut einem Jahr müssen Studierende in mehreren Bundesländern Gebühren zahlen – in
der Regel 500 Euro pro Semester. Überfüllte Hörsäle, klägliche Ausstattung von
Bibliotheken sollten bald der Vergangenheit angehören. Doch immer wieder kommen
seit der Einführung Zweifel auf, ob die Hochschulen die Gelder sinnvoll
ausgeben. Haben die Gebühren bereits zu Verbesserungen geführt? Wenn ja, in
welchen Bereichen?
In erster Linie muss man festhalten, dass Hochschulen in den Kompetenzbereich
der einzelnen Bundesländer fallen. Somit fällt auch die Entscheidung über die
Erhebung von Studiengebühren und auch der Umgang mit den Finanzen in die
Entscheidungshoheit der Länder. Jedoch weil die CDU Bildung als grundsätzlichen
Faktor für die Entwicklung des Einzelnen und des Staates sieht, streben die
Unionspolitiker eine „Bildungspartnerschaft“ zwischen Bund und Ländern,
natürlich unter Wahrung der im Grundgesetz festgeschriebenen Kompetenzen, an. In
dieser Wahlperiode wird der Bund die Ausgaben für Bildung und Forschung um 12
Milliarden Euro erhöhen. Außerdem strebt der Bund Vereinbarungen mit den
Bundesländern an, um Studieninhalte hinsichtlich des Bologna-Prozesses
weiterzuentwickeln, die Lehre sowie Betreuung der Studierenden zu verbessern.
6. Thema Steuersünder: Finden Sie es richtig, dass sich die Bundesregierung
dafür entschieden hat, die CD mit den Daten der Steuersünder zu kaufen?
Wer in einem Staat die Leistungen wie Bildung, Gesundheitswesen oder
Infrastrukturmaßnahmen in Anspruch nimmt, hat auch die Pflicht, seinen Beitrag
zum Gemeinwohl zu leisten und Steuern zu zahlen. Wer Betrug begeht, muss zur
Verantwortung gezogen werden. Der Staat hat alle Pflicht, Straftaten zu ahnden.
7. Wie interpretieren Sie den Vorwurf: „Die Regierung plündert die
Staatskassen, um Privilegierten weitere Privilegien zu geben“?
Für mich ist dieser pauschale Vorwurf nicht haltbar, denn wir haben u. a.
Entlastungen für Familien mit Kindern durch die Anhebung des Freibetrages für
Kinder und die Anhebung des Kindergeldes beschlossen. Zum 1.1.2010 traten
Entlastungen für unsere Bürgerinnen und Bürger von 21 Milliarden Euro in Kraft.
Gut 1/3 der Entlastungen wurde von der neuen Koalition aus CDU/CSU und FDP noch
im letzten Jahr beschlossen. Diese Liste ist fortsetzbar mit dem Sofortprogramm
für Milchbauern im Umfang von 750 Millionen Euro für 2010 und 2011, der
Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und die kommende Verdreifachung des
Schonvermögens für ALG-II Bezieher.
8. FDP-Chef Westerwelle rechnet auch künftig mit schwierigen Zeiten für das
Regierungsbündnis und meint, dass der Wind weiter an Schärfe zunehmen würde.
Worauf sollten sich die Bürger einstellen?
Deutschland ist in einer schwierigen Lage nach der internationalen Finanz- und
Wirtschaftskrise. Dadurch bedingt haben wir in diesem Jahr eine
Nettokreditneuverschuldung von 85 Milliarden Euro. Es ist ohne Zweifel, dass wir
in den nächsten Jahren Schulden abbauen müssen, um unser Land für nächste
Generationen handlungsfähig zu machen. Im Regierungsbündnis herrscht darüber
Einigkeit. Denn trotz manch unterschiedlicher Auffassungen zu einzelnen
Sachthemen gibt es eine gute kollegiale Zusammenarbeit im Interesse unserer
Bürgerinnen und Bürger.
9. Union und FDP wollen nicht wahrhaben, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt
noch bevorstehe und immer wieder ist zu hören, dass die Krise als Chance genutzt
werden sollte. Viele Bürger haben aber ihre Motivation und das Vertrauen in die
Politik verloren und erkennen keine Chancen mehr. Wie können diese Menschen
wieder motiviert werden?
Die Krise auf dem Arbeitsmarkt ist bisher nicht in dem prognostizierten Maße
eingetreten. Dank der Konjunkturprogramme I und II sowie durch die Erweiterung
des Kurzarbeitergeldes bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt stabil. Trotz des
strengen Winters und weiterer saisonbedingter Faktoren lag die Zahl der
Erwerbslosen gegenüber dem Vorjahreszeitraum lediglich um 0,3% höher. Im
Erzgebirgskreis gab es sogar eine leicht positive Entwicklung. Im Januar 2010
waren 4,6% weniger Menschen ohne Arbeit als im Januar 2009. Das Jahresgutachten
des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung prognostizieren eine leichte Erholung mit einer Zuwachsrate des BIP
von 1,6%.
Bei meinen Besuchen in Betrieben in der Erzgebirgsregion habe ich außerdem
festgestellt, dass tatsächlich viele Unternehmer die Krise als Chance
betrachten. Angestellte nutzen oft die Zeit in Kurzarbeit um Umschulungs- und
Weiterbildungsprogramme zu absolvieren, um dann ihren Betrieb mit verbessertem
Know-how zu unterstützen.
10. Nun noch eine Frage an Ihr Privatleben. Es ist bekannt, dass Sie während
der Sitzungswochen in Berlin weilen. Sind Sie wieder in der Heimat, stehen
ebenfalls zahlreiche Termine an. Wie vereinbaren Sie dies mit Ihren Familien.
Müssen Sie auf Hobbies etc. verzichten? Macht Ihnen Ihr Amt, für die Bürger da
zu sein, trotz aller Widrigkeiten Spaß?
Mir macht meine Arbeit als Bundestagsabgeordneter sehr viel Freude. Ich bin
dankbar, dass mir die Bürgerinnen und Bürger bereits zum 4. Mal das Vertrauen
ausgesprochen haben und mich direkt in den Bundestag gewählt haben. Bei 25
Sitzungswochen im Jahr in Berlin und dem einwohnerstärksten Wahlkreis Sachsens
mit 56 Städten und Gemeinden und 3 Bürgerbüros bleibt wenig Zeit für Privatleben
und Hobbies. Mir ist es wichtig, in gewissen Abständen in den Vereinen der
Erzgebirgsregion zu sein, um mit den Menschen vor Ort ungezwungen ins Gespräch
zu kommen und um auf Probleme sowie Sorgen direkt reagieren zu können. Jedoch
auch bei vollem Terminkalender versuche ich den Sonntag für meine Familie frei
zu halten.