MdB Günter Baumann
Rede vor dem Deutschen Bundestag am 11.11.04
TOP 6: Debatte über die Anträge der CDU/CSU („Konversionsregionen stärken –
Sechs-Punkte-Plan zur Strukturpolitik“, Drs. 15/4029) und der FDP („Hilfe durch
den Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffenen Regionen ist
unverzichtbar“, Drs. 15/1022)
Das aktuelle
Beispiel Schneeberg
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Sehr geehrter
Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Der Antrag der CDU/CSU hat insbesondere für die von Kasernenschließungen
betroffenen Regionen in den neuen Ländern eine existentielle Bedeutung.
Das möchte ich an einem konkreten Beispiel darstellen.
- Standort Schneeberg, im Freistaat Sachsen
In Schneeberg sind derzeit über 1.500 Dienstposten eingerichtet.
Fallen diese Stellen weg, geht die Kaufkraft zurück und verliert die heimische
Wirtschaft ihren größten Auftraggeber. Davon wären über hundert Betriebe
betroffen.
Wollte man diese Verluste kompensieren und 1.500 neue gewerbliche Stellen schaffen, wäre eine Investition von über 200 Millionen Euro erforderlich.
Das ist illusorisch.
Kurzum:
Für die Region Schneeberg mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit wäre die Schließung
der Kaserne ein wirtschaftliches Desaster.
Und ein demographisches dazu: die Abwanderung – vor allem der jungen Menschen –
würde sich weiter verstärken.
Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt, daß er nicht für
Infrastrukturpolitik zuständig ist. Das mag ja sein. Das Problem ist aber, daß
sich offensichtlich niemand in dieser Bundesregierung für Infrastrukturpolitik
zuständig fühlt! Nicht einmal der Ost-Minister der Regierung!
Von Herrn Stolpe war auch nichts zu hören, als der Verteidigungsminister auf
seiner Pressekonferenz am 2.11. meinte, daß nicht der Bund, sondern die
Wirtschaftsminister der Länder allein für entsprechende Kompensationen sorgen
sollen.
Das neue
Stationierungskonzept ist aber auch militärpolitisch fragwürdig und
haushaltspolitisch ein Fall für den Bundesrechungshof!
Exakte Zahlen zur Wirtschaftlichkeit und eine überzeugende militärpolitische
Begründung zu den Schließungsabsichten blieb auch der Staatssekretär Wagner in
der gestrigen Fragestunde schuldig.
Wie fragwürdig das Konzept ist, zeigt sich ebenfalls am Standort Schneeberg und
seinem Gebirgsjägerbataillon:
Erstens dürfen sich die überwiegend aus Sachsen stammenden Soldaten spätestens
seit ihren Einsätzen in Afghanistan zur militärischen Elite der angestrebten
modernen Interventionsarmee zählen.
Zweitens sind in diesen Standort seit 1991 über sechzig Millionen Euro
investiert worden. Im Jahr 2001 hatte sich Minister Scharping für den Erhalt und
den Ausbau der Kaserne entschieden. Allein von 2001 bis heute sind 20 Mio. Euro
geflossen. Schneeberg ist eine der modernsten Kasernen der Republik.
Diese zu schließen, ist auch vor dem Hintergrund unser katastrophalen Finanzlage
keinem Bürger zu vermitteln.
Eine Auflösung von Schneeberg würde aber auch die Ressourcen für den
Heimatschutz empfindlich treffen.
Die Schneeberger Soldaten haben sich bereits als starke Truppe für den Zivil-
und Katastrophenschutz bewährt: bei den Hochwassereinsätzen an der Oder 1997 und
2002 in Sachsen.
Der Einsatz in Sachsen war 2002 vor allem in Gebieten mit kurzen Reaktionszeiten
Rettung in höchster Not. Die Soldaten waren schnell vor Ort und konnten Dämme
halten, wo die Truppen aus anderen Bundesländern zu spät gekommen wären.
Nicht nur die Auflösung des Standortes Schneeberg würde die zeitnahen
Heimatschutzkapazitäten der Bundeswehr erheblich schwächen.
Nach den Plänen von Minister Struck soll die Stationierungsdichte in ganz
Sachsen nur 1,1 Dienstposten auf 1000 Einwohner betragen.
Der Bundesdurchschnitt beträgt 3,5.
Von den 10 größten
Schließungen sind 3 in Sachsen: Schneeberg, Zeithein, Leipzig
Welche Begründung gibt es hierfür ?
Sachsen ist in den vergangenen Wochen immer wieder als das einzige Land gelobt
worden, das seine Mittel aus dem Solidarpakt ausschließlich für Investitionen
verwendet. Ausgerechnet Sachsen wird nun von den Bundeswehrplänen am härtesten
getroffen. Seine Bürger empfinden dies nach ihren außerordentlichen
Anstrengungen und Leistungen der vergangenen 15 Jahre als eine Strafe.
Ich appelliere an
den Bundesverteidigungsminister: Wenn Sie schon die Gebirgsjäger nicht in
Schneeberg halten wollen, dann denken Sie über eine andere militärische Nutzung
der mit 60 Millionen Euro Steuergeldern topsanierten Kaserne nach.