10.03.2017

 

Redebeitrag Günter Baumann, MdB

TOP 3 am Mittwoch, den 17. Mai 2017:
 

Beratung des Berichts des Petitionsausschusses:
Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag - Die Tätigkeit des Petitionsausschusses
des Deutschen Bundestages im Jahre 2016
(Drs. 18/12000)


 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
zum Jahresbericht des Jahres 2016 ist schon recht viel gesagt, deswegen nur noch wenige Anmerkungen von meiner Seite.
Es war für den Petitionsausschuss ein erfolgreiches Jahr, die Bürgerinnen und Bürger haben Vertrauen in unsere Arbeit, sie vertrauen damit uns Politikern des Petitionsausschusses und das kann nicht jeder Politiker von sich sagen.
Mehr als 11.000 Petitionen gingen beim Bundestag ein, täglich etwa 44 Bürgeranliegen aus den verschiedensten Bereichen. Dies ist ein kleiner Rückgang zu den letzten Jahren, aber es spiegelt genau das Niveau der Anzahl an Petitionen wieder, wie in der Zeit vor der Deutschen Einheit.
1980 bis 1989: zwischen 10.000 und 13.000
Nach 1990 gab es einen Anstieg, bedingt durch die verschiedensten vereinigungsbedingten Probleme, die speziell die Bürger der Neuen Bundesländer betrafen. Nicht alles war im Einigungsvertag konkret geregelt.
In der Statistik haben wir gerade in den ersten 20 Jahren nach 1990 immer den höchsten Anteil an Petitionen in den Neuen Bundesländern in Relation zu den Einwohnerzahlen gehabt.
1990 bis 2009: zwischen 15.000 und 23.000
Seit 2010: langsamer Rückgang von 16.000 auf 11.000
Jetzt sind wir zumindest bei den Petitionen gesamtdeutsch angekommen.
Zum anderen muss man auch beim leichten Rückgang betrachten, dass wir erhebliche Konkurrenz bekommen haben.
In vielen Bereichen unseres Lebens gibt es Bürgerbeauftragte der Länder oder Ombudsmänner, die mit hoher Sach- und Fachkompetenz Bürgeranliegen aus ihrem unmittelbaren Gebiet, wie bei Versicherungen, Krankenkassen, Jobcenter oder in Krankenhäusern bearbeiten. Es gibt eine große Zahl von Beauftragten der Bundesregierung, von Datenschutz bis Abfallbeauftragten. Bei einer vorsichtigen Zählung komme ich auf mindestens 70 Ombudsmänner oder Beauftragte. Ich sehe dies durchaus positiv.
Sorgen mache ich mir aber über die Zunahme von Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren Sorgen zu privaten Internett Plattformen gehen und auf Hilfe hoffen.
Diese betreiben in meinen Augen nur eine Form des Populismus und des Sammelns von Unterschriften. Eine sachliche Bearbeitung des Themas erfolgt nicht und dem Bürger wird etwas versprochen, das gar nicht möglich ist. Ein Erfolg wird sich hier nicht einstellen.
Aber der Bürger ist frei in seiner Entscheidung, an wen er sich bei Problemen wendet.
Ich vertrete die Auffassung, dass wir keine Anhörung von Fachexperten benötigen, die uns sagen warum Petitionen zurückgehen.
Die beiden wesentlichsten Fakten habe ich genannt.
Unsere Aufgabe muss es sein, für unser System der grundgesetzmäßigen Bearbeitung von Petitionen durch Parlamentarier mehr Werbung zu machen und die Öffentlichkeit noch besser erreichen. Wir müssen noch mehr auf Messen gehen, wo wir immer eine gute Resonanz erfahren, wir müssen mit positiven erledigten Petitionen noch mehr in die Presse kommen, ich weiß wie schwer dies ist und wir brauchen einen wesentlich verbesserten, zeitgemäßen und benutzerfreundlichen Internettauftritt.
Im Übrigen ist die Anzahl der eingehenden Petitionen kein Qualitätsmerkmal unserer Arbeit. Unsere Kriterium bei denen jeder Abgeordnete im Petitionsausschuss noch etwas besser werden kann, ist die Schnelligkeit in der Bearbeitung von Bürgeranliegen. Auch die Zeitdauer von mancher Stellungnahme ist für uns oft unbefriedigend. Die Einführung der elektronischen Akte kann unsere Bearbeitung wesentlich beschleunigen.
Entscheidend muss am Ende sein, wie hoch ist der Anteil der Bürgeranliegen bei denen wir helfen können und ich denke mit einem Satz von 40 bis 45 % in den letzten Jahren können wir uns sehen lassen.
Gestatten Sie mir über den Jahresbericht hinaus noch einige Anmerkungen zu meiner Arbeit im Petitionsausschuss.
Als ich 1998 in den Bundestag kam, wollte ich in den Innenausschuss, was auch gelang aber ich sollte den Petitionsausschuss dazu nehmen. Dem Petitionsausschuss eilte kein guter Ruf voraus. Erfahrene Kollegen warnten mich vor einem großen Arbeitsaufwand, andere klagten über die Komplexität der Themen, die bis in die letzten Verästelungen unserer Gesetzgebung gehen.
Nach 19 Jahren kann ich sagen, vieles davon stimmt.
Und allein die 19 Jahre sagen schon aus, dass mir die Arbeit im Ausschuss viel Freude gemacht hat. Ich denke in keinem Ausschuss des Deutschen Bundestages ist die Themenvielfalt so groß. Wir Abgeordnete des Petitionsausschusses bekommen die Sorgen und Nöte von Menschen in unserer Gesellschaft hautnah vor Augen geführt und wir bekommen als erste mit, wie manche Regelung unserer Gesetze bei den Bürgerinnen und Bürgern wirkt und ob wir wirklich immer alles bedacht haben.
19 Jahre Petitionsausschuss heißt, ich habe in drei verschiedenen Koalitionen gearbeitet, konnte immerhin 4 Vorsitzende erleben und beim Ausschussdienst immerhin 7 Unterabteilungsleiter.
Fazit für mich bleibt, ich möchte keines dieser 19 Jahre missen, es waren alles spannende Zeiten und ich hatte immer bei besonderen Petitionen Verbündete in allen Fraktionen und es gelang auch schwierige Fälle, oftmals Einzelschicksale, parteiübergreifend zu klären.
Ich möchte mich heute bei den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen für das zumindest meistes gute Miteinander bedanken. Grundlage meiner Arbeit war, dass ich immer sehr gute Mitarbeiter in meinem Büro hatte, wofür ich sehr dankbar bin.
Ich weiß nicht wieviel Petitionen wir in meinem Büro bearbeitet haben, vielleicht so viele wie im Jahresbericht 2016?
Die Kunst war immer herauszufinden, was sind echte Problemfälle, wo Hilfe notwendig ist.
Dabei ging es nicht nur um Gesetzeslücken oder Behördenversagen, sondern auch um die Fälle, denen gesetzlich keine Hilfe zustand, aber wir uns in der moralischen Pflicht sahen, zu helfen.
Hier bleiben Fälle in Erinnerung, wie die Frau die ihren Lebensgefährten in Afghanistan verloren hatte und mittellos dastand oder die Rentnerin die ihren Kredit an die Bank nicht zurückzahlen konnte.
Aber spannend waren besonders die großen Petitionsfälle, eine Bearbeitung zum Teil über viele Jahre hinweg, das Motto war einfach dranbleiben:
• In der 14. WP gelang es die Deutsche Post AG nach langen Verhandlungen zu überzeugen das eingestellte Postleitzahlenbuch wieder aufzulegen. Ein Pfarrer aus Bayern hatte es gefordert und wir waren der Meinung er hatte Recht. Leider heute nicht mehr durch Internettentwicklung.
• In Chemnitz war ein Unternehmer 1972 enteignet und hatte trotz aller vorliegenden Voraussetzungen durch üble Machenschaften seinen Betrieb nach der Wende nicht zurückbekommen. Nach langem Kampf über 2. Wahlperioden erfolgte im Vergleichsverfahren eine Entschädigung.
• Eine Behörde wollte ein geschichtlich beachtliches Museum in einer Talsperren Mauer in Hessen schließen. Bei einem Ortstermin retteten wir das Museum, es besteht heute noch.
• Einer der spannendsten Fälle waren die Beschwerden von Petenten über stark beschädigten Häuser durch den Steinkohlebergbau in Völklingen. Als wir zum Ortstermin hinkamen, waren die meisten Schäden in den Tagen davor beseitigt und übermalt worden.
• Auch bei einem Ortstermin in Prora auf Rügen konnten wir ein Museum retten. Bei dieser Petition mussten wir das erste Mal erleben, dass die 4 Berichterstatter aller Fraktionen vor dem Oberlandesgericht Rostock zu den Mietverträgen in Prora aussagen mussten.
• Über 4 Wahlperioden ging eine Petition über den Anspruch auf Rückübertragung von Grundstücken an einem Berliner See. Hier gab es Vermögensentzug sowohl aus der NS-Zeit, wie der Bodenreform. Mit fast 100 Jahren erlebte der Petent noch Rückübertragung seines Eigentums.
• Große Erfolge waren auch Petitionen, wie: Heimkinder, Bombodrom und vielleicht auch unsere Antennengemeinschaften, die wir seit 12 Jahren auf dem Tisch haben. Hier gibt es jetzt Rückenwind vom Bundesrat.
Zur Zeit liegen neben vielen persönlichen Problem auch drei größere Petitionen auf unseren Tischen:
• Entschädigung für HCV-Infizierte Bluter
• Schiffsuntergang der Beluga 1999
• Radioidentifikationschips

Wichtig ist aber auch bei der Bearbeitung von Petitionen der Mut zur Ehrlichkeit. Wenn etwas aus welchen Gründen auch immer nicht mehr lösbar ist, dann muss man trotz vielleicht des Verständnisses für das persönliche Schicksal das Verfahren nicht unverantwortlich verlängern. Der Petent hat ein Recht auf die ehrliche Meinung.
Gerade bei Sondersystemen von Rentenfällen der ehemaligen DDR wurden durch ständigen Verfahren nach § 109 unverantwortliche Verzögerungen erwirkt. Das ist gegenüber dem Petenten nicht ehrlich.



Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Arbeit im Petitionsausschuss läuft gut und ich hatte heute damit begonnen, dass wir erfolgreich sind.
Trotzdem unterliegt alles in unserer Gesellschaft Veränderungen und wir sollten uns durchaus die Frage stellen, ob wir die Bearbeitung von Bitten und Beschwerden unserer Menschen noch effektiver machen könnten.
Die letzte Veränderung im Petitionswesen war vor mehr als 10 Jahren die Einführung des Einreichens von Petitionen auf elektronischen Weg.
Unser Ziel muss es sein weiter am Abbau von Politikvergrossenheit zu arbeiten und dafür müssen viele Vorschläge auf den Prüfstand. Auf Grund meiner langen Tätigkeit im Ausschuss möchte ich heute 4 Vorschläge als Denkansätze für die nächste Wahlperiode unterbreiten:


1. Seit ca. 10 Jahren gibt es die öffentlichen Sitzungen mit der Anhörung zu Petitionen, die in der Regel in 4 Wochen 50.000 Mitunterzeichner hatten. Die Vorsitzende hat in ihrer Rede heute angekündigt dies ausweiten zu wollen. Auch andere Fraktionen haben den Willen wiederholt seit längerem geäußert, wesentlich mehr Petitionen öffentlich zu diskutieren. Ich sehe hier eine Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung aller Petenten und aller Petitionen und lehne dies ab. Aus meiner Sicht sollten in der neuen Wahlperiode die öffentlichen Anhörungen mit Petenten eingestellt werden. Mit welchem Recht trägt ein Petent sein Problem persönlich vor, bei dem durch gute Organisation oder durch Zufall 50.000 Bürger mitgezeichnet haben. Die meisten öffentlich beratenen Petitionen waren Themen von allgemein politischem Interesse, die der Deutsche Bundestag durch seine Fachausschüsse bearbeiten müsste. Wir sind kein Fachausschuss. Wir sollten uns im Petitionsausschuss um die Schicksale unserer Bürger kümmern, die sonst keinen Weg für Hilfe wissen. Dieser Ausschuss sollte kein Vehikel für Parteien- und Fraktionspolitik sein.

2. Vielschreiber: Fast 15 % der Petitionen sind Meinungsäußerungen, oder ohne Anschrift, anonym, verworren, beleidigend. 2016 waren es 1.583. Ich möchte eine andere Behandlung dieser Vielschreiber. Wir müssen eine Definition erarbeiten, was ist eigentlich eine Petition ohne Einschränkung des im Grundgesetz verbrieften Rechts nach Art. 17.


3. Einführung eines Härtefallfonds für den Petitionsausschuss: Wenn wir nicht helfen können, aber eigentlich helfen müssten, bei besonderen Schicksalsschlägen. Nach einstimmigen Beschluss der Obleute, müsste die Möglichkeit bestehen mit einem kleineren Geldbetrag Soforthilfe leisten zu können.

4. Bei der Analyse der Bearbeitung von Bürgerproblemen in der EU, in verschiedenen europäischen Ländern und in deutschen Bundesländern, stellen wir fest, dass es neben einem Petitionsausschuss einen unabhängigen Bürgerbeauftragten oder Ombudsmann gibt. Wir haben uns gerade mit der europäischen Bürgerbeauftragten ausgetauscht und kennen die erfolgreiche Arbeit von Bürgerbeauftragten in Rheinland/Pfalz, in Mecklenburg/Vorpommern, in Thüringen und in Schleswig-Holstein. Seit 2016 gibt es einen Bürgerbeauftragten auch in Baden/Württemberg.
Welche Vorteile hätte ein Bürgerbeauftragter auf Bundesebene:
• Der Anonymität des Gremiums Petitionsausschuss wird durch einen der Öffentlichkeit bekannten Bürgerbeauftragten entgegengewirkt.
• Aufgrund der Unabhängigkeit kann der Bürgerbeauftragte die Eingaben ohne Rücksicht auf Partei- und Fraktionszwänge einer sachgerechten Erledigung zuführen.
• Ich sehe Vorteile in einem sinnvollen Nebeneinander von Petitionsausschuss und Bürgerbeauftragten.
• Der Bürgerbeauftragte kann ein Hilfsorgan des Parlaments, vergleichbar dem Wehrbeauftragten oder dem Bundesrechnungshof sein.
• Der Bürgerbeauftragte kann für die Bürger ein niederschwellig erreichbarer Ansprechpartner und Berater mit der Aufgabe eines Moderators mit einem hohen Grad der Bürgernähe sein.
Der nächste Deutsche Bundestag sollte sich dieser Diskussion stellen und im Interesse des Abbaus der Politikverdrossenheit und einer größeren Bürgernähe einen Bundesbürgerbeauftragen installieren.

Ich stehe zu unserem Petitionswesen und habe gern 19 Jahre Bürgeranliegen bearbeitet. Aber ich sehe die Notwendigkeit über Veränderungen nachzudenken.
Wir brauchen gerade durch das Entstehen privater Plattformen mehr Bürgernähe und neue Ideen.
Nehmen sie einfach die Ideen eines scheidenden Abgeordneten der 19 Jahre Petitionen bearbeitet hat als Denkanstöße.