Günter Baumann, MdB                

Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Petitionsausschuss

 

Redebeitrag zum Jahresbericht 2003 des Petitionsausschusses

am 17. Juni 2004

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

 

Nach Artikel 17 unseres Grundgesetzes hat Jedermann das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden.

Unter den 15.534 Eingaben, die den Petitions­ausschuss des Bundestages 2003 erreichten, befanden sich insgesamt 8.663 aus den Neuen Bundesländern, einschließlich Berlin.

Das sind 55,8 % aller Eingaben, also deutlich mehr, als der Bevölkerungsanteil der sechs östlichen Bundesländer beträgt.

 

Es ist nicht verwunderlich, dass die Petitionszahlen jetzt wieder steigen. Ursachen sind die hohe Regelungsdichte und Bürokratie, die unver­ändert hohe Arbeitslosigkeit, Rentenkürzungen und ungelöste soziale Probleme,  Schwierigkeiten mit der Umsetzung der Gesund­heitsreform und natürlich die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland.

Man kann durchaus die Arbeit des Petitionsausschusses als Seismograph für die Sorgen und Nöte und die Stimmung der Menschen in unserem Lande bezeichnen.

 

Die wichtigste Botschaft, die wir den Menschen in unserem Lande von die­ser Stelle überbringen können, ist:

Der Petitionsausschuss konnte in mehr als der Hälfte der Fälle etwas für die Petenten tun.

Zwar erreicht man dabei nicht immer das begehrte Ziel, aber häufig gelingt doch eine spürbare Ver­bes­se­rung oder ein annehmbarer Kompromiss.

Bedeutsame Petitionen übergibt der Petitions­ausschuss mit allem Nach­druck der Bun­des­regierung „zur Berücksichtigung“. Das ist das höch­ste Votum.

Drei derartige Fälle (mit 81 Petitionen) gab es 2003.

Besonders freue ich mich über den Erfolg der Petition von Bürgern aus dem oberbaye­rischen Örtchen Valley, die mit Hilfe des Bundestages bereits Ende 2003 von den Belastun­gen durch eine große amerikanische Sendeanlage befreit werden konnten.

 

Die besonderen Befugnisse des Petitionsausschusses haben sich immer wieder als nützlich für unsere Arbeit erwiesen.

Besonders groß ist der Erkenntnisgewinn oft durch einen Ortstermin, bei dem in der Regel die beteiligten Behörden und die Petenten zugegen sind. Manchmal treibt die Sorge vor der Neugier der Abgeordneten allerdings auch Blüten: So wur­den unmittelbar vor einer Besichtigung der erheblichen Bergbauschäden im saarlän­di­schen Völklingen-Fürstenhausen im Auftrag des Bergbauunter­nehmens rasch noch Risse gekittet und Fassaden geweißt, teilweise sogar ohne Wissen der Eigentümer, als ob das den Eindruck wirklich verbessern könnte.

Hier wäre besser der Respekt vor dem Parlament und dem Petiti­onsausschuss gewahrt worden, anstatt „Potemkinsche Dörfer“ zu zaubern!

 

Auch das Recht, Akten einzusehen oder einen Vertreter der Bundesregie­rung anzuhören, erweist sich gelegentlich als hilfreich, wenn wir einer Peti­ti­on zum Erfolg verhelfen wollen. Dabei staunen selbst erfahrene Abgeord­nete, mit welcher Hartnäckigkeit sich manche Institutionen einem Gespräch mit dem Petitionsausschuss verweigern und etwa den Weg vom Rhein an die Spree scheuen. Dabei bieten häufig gerade Berichterstattergespräche die Chance, den eigenen Standpunkt anschaulich zu vertreten, zu reflek­tieren und gemeinsam nach Auswegen aus einem Problem zu finden.

 

Vieles geschieht im Petitionsausschuss im Konsens, aber hin und wieder lassen sich die Standpunkte der Fraktionen auch nicht vereinbaren.

Dann bleibt uns - als Oppositionsfraktion - die Mög­­lich­keit, eine Einzelausweisung zu verlangen, was häufig geschieht, oder einen Änderungsantrag zu stellen. Zweimal hat die CDU/CSU-Fraktion im letzten Jahr davon Gebrauch gemacht:

Einmal, um den Bundeswehr-Standort Bayreuth zu retten. Im anderen Fall wollten wir der sudetendeut­schen Ackermann-Gemeinde, einer hoch angesehenen katholischen Ge­mein­schaft, dauerhaft zu einem Kulturrefe­ren­ten verhelfen, um die deutsch-tschechische Verständigung zu fördern. Schade, dass am Vorabend des Beitritts der Tschechischen Republik zur EU die rot-grüne Koalition aus rein ideologischen Gründen hier zu keinerlei Einvernehmen bereit war!

 

Die große Zahl von Eingaben macht jedes Jahr deutlich, welche Hoffnung die Men­schen in unseren Ausschuss setzen. Und oft genug ist dieses ihr letzter Ausweg! Das von der Verfassung garantierte Recht, sich jederzeit mit Bitten und Beschwerden schriftlich an die Volksvertretung wenden zu können, ver­dient meines Er­ach­tens eine noch stärkere Beachtung in unse­rer Gesell­schaft. Die grö­ßere Resonanz, die der Petitionsausschuss anläss­lich der Übergabe des Jahres­be­richtes 2003 an den Präsidenten kürzlich erhielt, könnte ein erster Schritt sein zu einem gestiegenen Ansehen in der Bevölkerung. Dies war auch ein ehrliches Anliegen der im Winter jäh aus unserer Mitte gerissenen ehemaligen Vorsitzenden Marita Sehn, derer wir heute erneut gedenken.

 

 

 

Meine Damen und Herren,

als Abgeordneter aus Sachsen möchte ich hier einige Beispiele aus der praktischen Arbeit des Petitionsausschusses aus den neuen Ländern vortragen. Viele Petitionen haben mit der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur zu tun. Dazu zählen insbesondere die offenen Vermögensfragen. Viele Petenten klagen über willkürliche Entscheidungen von Landesvermögensämtern. Ein Fall, bei dem wir 2003 endlich Fortschritte erzielen konnten, ist dabei wegen seiner menschlichen und historischen Dimension besonders dramatisch, weil sich hier die kommunistische und die nationalsozialistische Unrechtsepoche in ein und derselben Person überschneiden.

 

Dolgenbrodt

So hat sich 1997 ein achtzig Jahre alter, in Brasilien von Sozialhilfe lebender Mann erstmals an den Petitionsausschuss gewandt, weil ihm das Brandenburger Landesvermögensamt die Rückgabe seines ehemaligen Familienbesitzes verweigert hatte.

Die Familie des Petenten war bereits bis 1945 gleich zweimal enteignet worden, erst von der Gestapo, dann von der sowjetischen Militäradministration. Der Vater war von der Gestapo erschossen worden; die Mutter hatte sich aus Verzweiflung das Leben genommen.

Zu DDR-Zeiten wurden die an einem See gelegenen Filetstücke des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebes größtenteils an Funktionäre vergeben: als Wochenendgrundstücke.

Als der Petent Jahrzehnte später von der Wende in der DDR erfährt, hat er gute Hoffnung, daß es jetzt auch in Ostdeutschland wieder mit rechten Dingen zugehen würde. Diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Nach sieben Jahren teilt das Landesvermögensamt erstmals mit, dass es eine Rückgabe ablehnt und auch keinen Entschädigungsanspruch anerkennt. An dieser Haltung hat sich auch in den Folgejahren nichts geändert. Das Landesvermögensamt beruft sich auf den Restitutionsausschluss bei Enteignungen während der sowjetischen Besatzung zwischen 1945 und 1949. Die Enteignung durch die Gestapo erkennt es nicht an.

Der Mann hat einen bösen Verdacht: kurz nach der Wende waren die lukrativen Grundstücke nun an die ehemaligen Funktionäre der DDR zu Niedrigpreisen verkauft worden. Wollte die Landesbehörde diese Verkäufe schützen?

Der Petitionsausschuss des Bundestages hat sich all die Jahre mit mehreren Erwägungsbeschlüssen für den Petenten eingesetzt. Das Problem war nur: Im Rahmen unserer bundesstaatlichen Ordnung können nur die Petitionsausschüsse der Landtage die Tätigkeit von Landesvermögensämtern kontrollieren. Und der in diesem Fall zuständige Brandenburgische Landtag sah die Sache rechtlich genauso wie das Brandenburgische Vermögensamt. Dennoch könnte die Petition jetzt doch noch ein gutes Ende nehmen. Der Bund hat den Vermögensanspruch des Petenten bereits anerkannt. Das ist der erste Erfolg der Petition. Der zweite könnte darin bestehen, dass seit dem 1.1.2004 das Bundesvermögensamt für Vermögensfragen aus der NS-Zeit zuständig ist – und damit auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages!

Nach 60 Jahren bahnt sich nun zumindest eine teilweise Gerechtigkeit für den Petenten an.

 

Steckengebliebene Entschädigungen

Der Petitionsausschuss erfährt auch immer wieder von DDR-Unrecht, das im Einigungsprozeß übersehen worden ist. So bei den „steckengebliebenen Entschädigungen“. Hierbei handelt es sich um Entschädigungen, die nach den Enteignungsgesetzen der DDR zwar formal versprochen, aber faktisch nicht ausgezahlt worden sind. Wer nun nach der Wende glaubte, einen Anspruch auf diese Entschädigungen geltend machen zu können, wurde von den Vermögensämtern schwer enttäuscht. Für eine Auszahlung fehlte im Vermögensgesetz schlicht die gesetzliche Grundlage. Der Petitionsausschuss hat sich in den vergangenen Jahren regelmäßig und einmütig für die Betroffenen eingesetzt und die Verhandlungsführer in Bund und Ländern immer wieder aufgefordert, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Dies ist im vergangenen Jahr geschehen. Im Dezember 2003 ist das Entschädigungserfüllungsgesetz in Kraft getreten, das die Auszahlung der steckengebliebenen Entschädigungen endlich regelt.

Sollte allerdings einer der Betroffenen infolge der heutigen Debatte zum ersten Mal davon hören, dass er einen gesetzlichen Anspruch hat, muss ich ihn leider enttäuschen. Mit dem gestrigen Tag ist die Frist für Ansprüche nach dem Entschädigungserfüllungsgesetz abgelaufen! Das Gesetz hat nämlich einen Haken: eine Anspruchsfrist von nur einem halben Jahr!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, dass wir uns dieser Problematik erneut parteiübergreifend annehmen werden, falls sich nun Petenten melden sollten, die innerhalb dieser knappen Zeitspanne nicht mehr rechtzeitig von ihrem Anspruch erfahren haben.

 

Rentenüberleitung Ost

Kompliziert, im Einzelfall schwer zu vermitteln, für die Betroffenen allerdings stets von größter persönlicher Bedeutung ist das Rentenrecht. Das gilt insbesondere für die neuen Länder. Die Architekten der deutschen Einheit haben mit der Überführung des Rentensystems der DDR in das historisch wie systematisch völlig unterschiedliche bundesdeutsche Renterecht sicherlich eine großartige Leistung vollbracht. Das Ergebnis bleibt allerdings für viele Rentner aus den neuen Ländern meist völlig unverständlich.

Der Petitionsausschuss nimmt diese Petitionen sehr ernst und bemüht sich in jedem Fall, auch wenn er eventuell keine Abhilfe schaffen kann, die Regelungen und ihre Ursache verständlich zu machen.

 

Mir persönlich ist aber eine Gruppe von Betroffenen wichtiger als alle anderen. Es sind diejenigen, die überhaupt keine oder nur geringste Ansprüche an das Rentensystem stellen können, weil ihnen eine normale Erwerbsbiographie in der DDR verweigert wurde. Die Opfer des SED-Regimes haben bis heute nicht die rentenrechtliche Kompensation erfahren, die ihnen aufgrund ihres mutigen Einsatzes für Freiheit und Demokratie zweifellos zustünde. Dass wir – und damit meine ich alle, die in diesem Land seit der Wende politische Verantwortung trugen – uns hier so schwer tun, ist und bleibt beschämend: für unsere Demokratie und für unser nationales Gedächtnis!

Während staatsnahe Funktionäre der ehemaligen DDR und Stasimitarbeiter in den vergangenen Jahren die Begrenzungen ihrer Zusatzrenten vor Gericht immer weiter aufheben konnten, leben viele politisch Verfolgte der DDR-Diktatur heute von Renten unter Sozialhilfeniveau, weil sie durch Haft und berufliche Behinderungen von einem normalen Erwerbsleben Jahrzehnte lang ausgeschlossen worden sind. Der Bundestag wird demnächst erneut eine Gesetzesinitiative zur Einführung einer Opferrente zu beraten haben, eingebracht über den Bundesrat durch die Länder Sachsen und Thüringen.

 

Meine Damen und Herren,

diese Debatte zum Jahresbericht des Petitionsausschusses 2003 gibt mir Gelegenheit, im Namen der CDU/CSU-Fraktion allen Mitar­bei­terinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für ihre fleißige, kom­pe­tente und immer sehr kollegiale Arbeit herzlichen Dank zu sagen. Ohne Ihre hilfreiche Arbeit könn­te der Petitionsausschuss die Berge an Eingaben gar nicht bewältigen!

 

Wir haben durch großes Engagement, fleißige Arbeit und meist sachlichen Meinungsstreit dazu beigetragen, dass vielen Bürgern im Lande geholfen werden konnte. Das stärkt das Vertrauen in unsere lebendige Demokratie und ermutigt uns, unseren Dienst am Bürger mit gleichem Einsatz fortzusetzen.