06.06.2003
Günter Baumann, MdB:
„Gedenken an die Opfer des Bombenkrieges im
Zweiten Weltkrieg“
Rede im Deutschen Bundestag zum Antrag
der CDU/CSU am 5.6.2003
Seit
einiger Zeit läuft in den Medien der Bundesrepublik eine Debatte über die
deutsche Erinnerungskultur, in deren Zentrum die Zerstörungen deutscher Städte
im Zweiten Weltkrieg und die Opfer der Bombardements unter der deutschen
Zivilbevölkerung stehen.
Verstärkt ist dabei der Ruf zu vernehmen, die Deutschen mögen sich endlich mehr
der Kriegsopfer aus den eigenen Reihen annehmen, als das bislang geschehen ist.
Ich frage mich, warum wir diese Fragen gerade jetzt diskutieren. Persönlich
glaube ich nicht, dass wir unsere eigenen Opfer im Krieg die Jahre zuvor mit
einem „Tabu“ belegt haben. Jeder nach 1945 geborene Deutsche wird schon über die
eigene Familiengeschichte mit dem entsetzlichen Verlust an Menschen und dem
unwiederbringlichen Verlust an Heimat konfrontiert worden sein, den dieser Krieg
für die deutsche Nation bedeutete.
Nein, wir leiden nicht an Gedächtnisverlust. Das zeigt auch die politische
Debatte, wenn es um die existentiellen Fragen von Krieg und Frieden geht:
Politiker berufen sich dabei fast immer, sei es bewusst oder unbewusst, auf die
Vergangenheit und zitieren gewissermaßen die Gründungsprinzipien der
Bundesrepublik.
1. „Nie wieder Krieg“. Damit drücken wir aus, dass wir Deutschen, gerade
weil wir auf unserem eigenen Territorium unmittelbar Kriegsopfer waren, die
Schrecken des Krieges so gut kennen, dass die Verhinderung zukünftiger Kriege
ein Leitprinzip der nationalen Identität aller Deutschen geworden ist, egal
welcher politischen Richtung sie sich zugehörig fühlen.
2. „Nie wieder Diktatur“ – das demokratisch-freiheitliche Leitprinzip
unser Identität. Es kann freilich zu dem ersten in Widerspruch geraten, als es
gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung des Holocaust den Befreiungskrieg als
letztes Mittel nicht ausschließt.
Obwohl die eigenen Opfer somit in unserem kollektiven Gedächtnis durchaus
gegenwärtig waren und sind, gibt es dennoch einen guten Grund, warum wir heute
darüber diskutieren. Unser kollektives Gedächtnis wandelt sich nämlich mit den
Generationswandel. Man schaue sich nur die Mitgliederliste des Deutschen
Bundestages an und vergleiche sie mit der der vergangenen Legislaturperioden:
Diejenigen, die die Leiden des Krieges noch aus eigener Anschauung kennen,
werden immer weniger. Das gilt natürlich auch für die Gesamtgesellschaft.
Wenn aber nationale Tragödien nicht mehr kraft persönlicher Erfahrungen in der
kollektiven Erinnerung verankert sind, wird man die Erinnerung an sie
‚institutionalisieren‘ müssen – wie das auch im Hinblick auf unsere
Verantwortung für die Ermordung der europäischen Juden vielfältig geschieht.
Andernfalls droht in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich ein Gedächtnisverlust.
Ich denke, es ist gut, wenn wir um die Toten in anderen Ländern trauern, die dem
Krieg zum Opfer fielen, der von Deutschland ausging. Aber wir dürfen unsere
eigenen Toten nicht vergessen. Wenn wir auch in Zukunft aus der Geschichte
lernen wollen, müssen wir uns immer auch dessen vergewissern, was durch die
Hitler-Tyrannei unserem eigenen Volk widerfahren ist.
Die Erinnerung an die Opfer von Dresden, Hamburg und Köln zählt zu unserem
nationalen Erbe.
Die Stadt Dresden, deren historisches Zentrum in der Nacht vom 13. zum 14.
Februar 1945 fast völlig zerstört worden ist, hat mit dem Wiederaufbau der
Frauenkirche unserer Erinnerungskultur ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.
Die Pflege dieser Erinnerung kann nicht den Städten und Gemeinden allein
überlassen werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, im Hinblick auf
die Gestaltung der kommenden 60. Jahrestage der Bombardements ein Konzept
vorzulegen.